Entscheidungsfindung in der Zebrafischlarve
Wie Zebrafischlarven bei der Untersuchung von Wahrnehmungsentscheidungen eingesetzt werden können.
Eine künstlerische Darstellung davon, wie Zebrafischlarven Entscheidungen über die Bewegungsrichtung in einer Wolke von sich vorwiegend zufällig bewegenden Punkten treffen. Künstlerin: Mariela Petkova
/HFSP/ BN/ Bei der wahrnehmungsbasierten Entscheidungsfindung müssen Tiere sensorische Informationen über die Zeit hinweg integrieren und speichern. Die zugrundeliegenden neuronalen Prozesse sind bislang jedoch noch wenig verstanden. Für ihre jüngste Veröffentlichung kombinierten Bernstein Mitglied Armin Bahl und Florian Engert (beide Harvard University, Cambridge, USA) Verhaltensexperimente und Multi-Photon-Mikroskopie um neuronale Netzwerkmodelle zu erstellen, welche das Verhalten mechanistisch beschreiben können.
Wann immer wir uns mit Freunden zum Abendessen treffen und ein schönes Restaurant auswählen möchten, müssen wir alle verfügbaren Optionen sorgfältig prüfen und besprechen. Dies führt oft zu gewissen Unklarheiten oder Konflikten, weshalb die Wahl der richtigen Vorgehensweise eine Herausforderung darstellt. Eine allgemeine Lösung für viele solcher Entscheidungsprobleme ist die zeitliche Integration von Informationen bis zu einem Schwellenwert, die oft durch sogenannte Drift-Diffusionsmodelle beschrieben wird. Diese Modelle erklären zuverlässig mehrere Aspekte des Verhaltens, einschließlich der Verteilungen der Reaktionszeiten und Entscheidungsgenauigkeiten. Unklar ist bislang jedoch, wo im Gehirn die zugrundeliegenden Prozesse ablaufen und wie die Berechnung genau durchgeführt werden.
Ein viel genutztes Entscheidungsparadigma – welches ursprünglich für Menschen und Primatenmodelle entwickelt wurde – nutzt sich zufällig bewegende Punktewolken. Eine kleine Mehrheit an Punkten bewegt sich vorwiegend in eine bestimmte Richtung. Probanden oder Tiere haben die Aufgabe diese Bewegungsrichtung zu identifizieren. Diese Studien haben bereits sehr geholfen, die zugrundeliegenden kognitiven Prinzipien zu verstehen. Es bleibt allerdings experimentell schwierig, die entsprechenden neuronalen Mechanismen zu studieren.
Bahl und Engert stellten nun fest, dass ein deutlich simpleres Tiermodell – die vertebrale Zebrafischlarve – ebenfalls Bewegungsreize über die Zeit integrieren kann. Mit Hilfe bildgebender Verfahren des gesamten Gehirns mit zellulärer Auflösung konnten die Wissenschaftler mehrere prominente Zentren im Nervensystem der Larven identifizieren, welche wahrscheinlich an den zugrunde liegenden Berechnungen beteiligt sind. Ihre Experimente zeigen, dass der vordere Bereich des Rhombencephalons dabei eine wichtige Rolle spielt, und dass dieser Bereich vorwiegend aus drei funktionellen Zelltypen besteht: Eine Gruppe von Integrator-Neuronen, die langsam kohärente Bewegungen über die Zeit akkumulieren, sowie einige Neurone, welche die Entscheidungsschwelle repräsentieren. Diese beiden Zellgruppen konkurrieren antagonistisch miteinander; immer dann, wenn die Anregung durch die Integrator-Neurone die Hemmung durch die Schwellenneurone überschreitet, fängt die Fischlarve an zu schwimmen.
Zusammenfassend haben Bahl und Engert festgestellt, dass Zebrafischlarven für die Untersuchung von Wahrnehmungsentscheidungen verwendet werden können, und dass ein einfaches Schaltkreismotiv im vorderen Teil des Rhombencephalons geeignet ist, die zugrundeliegenden Berechnungen mechanistisch umzusetzen. Die Arbeit legt die Grundlage für den Einsatz vielseitiger molekulargenetischer Techniken und weiterer Netzwerkanalysen im Zebrafischlarven-Tiermodell und ermöglicht nun, die neuronalen Grundlagen der Wahrnehmungsentscheidung systematisch und detailliert zu analysieren.
Übersetzung der englischen Presseinformation des Human Frontier Science Program
>> originale Pressemitteilung (Englisch)
Originale Publikation
Bahl, A., Engert, F. Neural circuits for evidence accumulation and decision making in larval zebrafish. Nat Neurosci (2019) doi:10.1038/s41593-019-0534-9