Auf dem Weg zum optischen Cochlea-Implantat
Interdisziplinäres Team von Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Göttingen und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erzeugt mittels Leuchtdioden-basierter optischer Cochlea-Implantate erstmals lichtgesteuertes Verhalten in tauben Nagetieren. Veröffentlichung in Science Translational Medicine.
Optisches Cochlea Implantat in der Hörschnecke einer Ratte. © Dr. Daniel Keppeler, Institute for Auditory Neurosciences, UMG.
/UMG/MBExC/ Das Innenohr- oder Cochlea-Implantat (CI) ermöglicht über 700.000 hochgradig schwerhörigen und tauben Menschen weltweit wieder zu hören. Dabei wird der Hörnerv bisher durch elektrische Impulse stimuliert. Die Qualität dieses künstlichen Hörens unterscheidet sich stark von natürlichem Hören. Durch die ausgedehnte Stromausbreitung in der Gehörschnecke werden statt weniger Nervenzellen große Nervenzellgruppen aktiviert – vergleichbar mit dem Spielen eines Klaviers mit Boxhandschuhen statt mit einzelnen Fingern. CI-Träger*innen können zwar in 1:1-Gesprächen kommunizieren, sind aber bei Umgebungsgeräuschen und mehreren Sprechern häufig auf Lippenlesen angewiesen. Auch der Musikgenuss ist eingeschränkt. Eine grundlegende Verbesserung verspricht die zielgenaue Anregung des Hörnervs mit Licht.
Nach 12 Jahren Forschung zu grundlegenden Fragen zum Hören mit Licht ist die Hörforschung am Göttingen Campus um Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), auf dem Weg zur Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats in Richtung klinische Anwendbarkeit. In Zusammenarbeit mit einem von Dr. Patrick Ruther geleiteten Team von Ingenieuren des Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg konnte ein für Langzeituntersuchungen geeignetes optisches Cochlea-Implantat System mit integrierten Mikro-Leuchtdioden (µLEDs) entwickelt werden. Im Tiermodell der menschlichen Schwerhörigkeit stimuliert dieses System den zuvor gentechnisch lichtempfindlich gemachten Hörnerv zielgenau mit optischen Pulsen. Das System ist viel kleiner und leichter als das klinisch genutzte CI und kann daher auch bei Nagetieren eingesetzt werden. Die Wissenschaftler sind noch einen wichtigen Schritt weiter gegangen und zeigen anhand von Verhaltensexperimenten, dass das optische CI tauben Nagetieren das Hören wieder ermöglicht – und das über Wochen. Veröffentlicht wurden die Forschungserkenntnisse am 22. Juli 2020 in der renommierten Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“.
>> vollständige Pressemitteilung
Originalpublikation
Daniel Keppeler*, Michael Schwaerzle*, Tamas Harczos*, Lukasz Jablonski, Alexander Dieter, Bettina Wolf, Suleman Ayub, Christian Vogl, Christian Wrobel, Gerhard Hoch, Khaled Abdellatif, Marcus Jeschke, Vladan Rankovic, Oliver Paul, Patrick Ruther, Tobias Moser. Multichannel optogenetic stimulation of the auditory pathway using microfabricated LED cochlear implants in rodents. Science Translational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.abb8086; * equal contribution