Covid-Kontrolle im Test
Kontaktverfolgung und niedrige Fallzahlen leisten wichtigen Beitrag zur Eindämmung einer zweiten Welle der Corona-Epidemie
Hinlänglich bekannt, aber nicht immer konsequent umgesetzt: Abstand Halten und Masken für den Mund-Nasen-Schutz helfen, die Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 und damit eine zweite Welle der Epidemie einzudämmen. © pixelfit/iStockphoto
/MPI, PH/ Die Covid-19-Epidemie lässt sich nur mit einem Bündel konzertierter Maßnahmen eindämmen. Das ist ein Ergebnis von Modellrechnungen, die ein Team des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation sowie der Universität Göttingen jetzt veröffentlicht hat. Demnach können die Gesundheitsämter die Ausbreitung von Sars-CoV-2 durch Testen, Kontaktverfolgung und Isolieren deutlich einschränken. Das alleine reicht jedoch nicht aus, um eine zweite Welle der Epidemie zu verhindern, wie die Rechnungen der Forscherinnen und Forscher zeigen. Sie haben Bedingungen abgesteckt, unter denen die Zahl der Covid-19-Erkrankten in Deutschland weiterhin unter Kontrolle bleibt.
Bei der Eindämmung der Covid-19-Epidemie kommt es auf uns alle an, auf die Gesundheitsämter aber ganz besonders. Sie durchbrechen Infektionsketten, indem sie zunächst die Kontaktpersonen von Menschen mit einem positiven Coronatest aufspüren. Die Kontaktpersonen werden dann solange wie nötig isoliert. Also entweder bis sich erwiesen hat, dass sie keine Träger des Virus sind, oder bis sie nicht mehr infektiös sind, falls sie sich angesteckt haben sollten. Das TTI (nach dem englischen, test, trace and isolate) genannte Vorgehen funktioniert zwar nicht perfekt, die Gesundheitsämter tragen damit aber wesentlich dazu bei, die Reproduktionszahl R, also die Zahl der Menschen, die Träger des Virus im Schnitt anstecken, unter 1 zu drücken. Jenseits dieses Kipppunktes breitet sich Sars-CoV-2 exponentiell, also sehr schnell unkontrollierbar aus und es kommt zu einer zweiten Welle der Epidemie.
Ein zweiter Kipppunkt an der Überlastungsgrenze der Gesundheitsämter
Wie effektiv die Gesundheitsämter die Reproduktionszahl in der Praxis senken können, hat ein Team um Viola Priesemann, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation jetzt mit Modellen der theoretischen Epidemiologie ermittelt. Die Forscherinnen und Forscher berechnen, wie sich Sars-CoV-2 bei verschiedenen Vorgehensweisen im Testen und in der Kontaktverfolgung in der Bevölkerung ausbreitet.
So haben sie jetzt nachgewiesen, dass die Belastungsgrenze der Gesundheitsämter einen zweiten wichtigen Kipppunkt darstellt, an dem die Epidemie außer Kontrolle geraten kann. „Je mehr Kontakte den Gesundheitsämtern entgehen, weil sie überlastet sind, desto mehr stecken diese unentdeckt bleibenden Träger des Virus andere Menschen an, und eine Eindämmung wird immer schwieriger“, sagt Viola Priesemann. Bei welcher Zahl täglicher Neuinfektionen diese Grenze genau liegt, ergibt sich aus den Rechnungen nicht. „Das hängt stark von der Kooperation der Bevölkerung ab, sowie von der Anzahl sozialer Kontakte“, sagt Sebastian Contreras, Doktorand am Max-Planck-Institut und Erstautor der aktuellen Studie. „Unsere Studie zeigt aber, dass es ratsam ist, bei den Fallzahlen einen Sicherheitsabstand zur Kapazitätsgrenze der Gesundheitsämter zu halten und auch bei einem langsamen Anstieg der Fallzahlen wachsam zu sein.“
Unentdeckte Träger dürfen maximal zwei Personen anstecken
Neben der Belastungsgrenze hängt der Erfolg der Gesundheitsämter noch von einer zweiten Bedingung ab. Den Rechnungen des Göttinger Teams zufolge können sie Covid-19 durch Testen und Kontaktverfolgung nämlich nur dann eindämmen, wenn Träger des Virus, solange sie unentdeckt sind, höchstens zwei weitere Personen anstecken. Die Reproduktionszahl R darf im Gros der Bevölkerung, die ihren aktuellen Infektionsstatus nicht kennt, also nicht über 2 steigen. Nur dann können die Gesundheitsämter die gesamte Reproduktionszahl, auf die es am Ende ankommt und die vom RKI berechnet wird, durch die Identifikation und Isolation von Corona-Trägern unter 1 bringen.
Die meisten Menschen, die wissen, dass sie sich das Virus eingefangen haben, isolieren sich. Daher verbreiten vor allem die Träger den Erreger, die davon nicht wissen, zum Beispiel weil sie keine Symptome haben oder bei leichten, unspezifischen Symptomen noch nicht getestet wurden. Ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen würden die unentdeckten Virusträger wie Anfang März vermutlich zwischen drei und vier weitere Personen anstecken, wobei es hier auch einen kleinen saisonalen Effekt gibt.
Um die Zahl durchschnittlicher Ansteckungen in dieser Gruppe, zu der wir alle gehören könnten, unter zwei zu senken, müssen wir das Risiko einer Infektion um 20 bis 50 Prozent reduzieren. Zu diesem Zweck sollten wir zum einen die AHA-Regeln gewissenhaft einhalten: Abstandhalten, Hygiene berücksichtigen und Alltagsmasken tragen. Zum anderen können wir die Ansteckungsgefahr auch verringern, indem wir unsere physischen Kontakte einschränken. In dem Zusammenhang raten die Göttinger Forscherinnen und Forscher von Großveranstaltung ganz ab: „Großereignisse können Super-Spreading Events begünstigen. Weder deren Ursprung noch deren Dynamik sind bisher ganz verstanden, aber ihre destabilisierende Wirkung konnten wir in unserer Studie schon zeigen“, sagt Johannes Zierenberg, promovierter Physiker und Mitautor der Studie. Und ab dem Herbst dürften allgemeine Vorsichtsmaßnahmen noch wichtiger werden, wenn die Witterung das Virus wieder begünstigt.
Infektionsketten lassen sich effektiver durchbrechen
Die Vorsichtsmaßnahmen für alle abzuschwächen, wäre nur möglich, wenn die Triade aus Testen, Kontaktverfolgung und Isolierung effektiver würde. Zum Beispiel könnten Menschen mit einem positiven Testergebnis die Quarantäne noch konsequenter einhalten. Bei den Gesundheitsämtern gibt es darüber hinaus Stellschrauben für eine effektivere Identifikation von Corona-Trägern. Sie könnten etwa versuchen, die Zeitspanne von der Infektion bis zu ihrer Entdeckung auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Wöchentliche Tests für alle ohne Verdacht sind dabei allerdings nicht praktikabel – denn für gut 80 Millionen Menschen reichen die 1,4 Millionen Tests, die wöchentlich zur Verfügung stehen, nicht.
Die Gesundheitsämter könnten zudem alles daransetzen, möglichst alle Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig zu machen, und das in möglichst kurzer Zeit. „Wir gehen in unserem Modell davon aus, dass die Kontaktnachverfolgung und Isolierung nicht perfekt sind. Zum Beispiel nehmen wir an, dass die Gesundheitsämter derzeit etwa zwei Drittel der Kontakte von Trägern des Virus identifizieren, vor allem solche, bei denen es ein großes Ansteckungsrisiko gibt, also Kontakte in der Familie, am Arbeitsplatz oder mit Freunden“, sagt Viola Priesemann. Zusätzlich flüchtige Kontakte etwa im Supermarkt Restaurant oder in der U-Bahn aufzuspüren und vorsorglich zu isolieren, kann den Aufwand schnell ins unermessliche treiben. So empfiehlt es sich den Göttinger Rechnungen zufolge auch nicht, einen Schritt bei der Unterbrechung von Infektionsketten auf das absolute Optimum zu trimmen.
„Unsere Rechnungen zeigen, dass es effektiver ist, alle oder mehrere dieser Faktoren beim TTI ein bisschen zu verbessern“, sagt Viola Priesemann. „Besonders effektiv ist es, wenn wir an möglichst vielen Stellen jeweils ein bisschen besser werden: Wenn Menschen bei Verdacht auf eine Infektion zügig ihre Kontakte reduzieren, wenn sie sich gewissenhaft an die Quarantäne halten und wenn die Kontakte von Trägern schnell identifiziert und vorsorglich ebenfalls in Quarantäne gehen. Dann können wir uns in anderen Bereichen wesentlich mehr Freiheiten erlauben, ohne die Kontrolle über die Ausbreitung zu verlieren.“