Vom einzelnen Rezeptor zur ganzheitlichen Funktion des Gehirns
Die Gesamtverteilung aller Rezeptoren im Gehirn, das Rezeptom, sehen Forschende als neuen Ansatz für Computermodelle, die die Funktion des Gehirns nachbilden, sowie für Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen.
Die Teams von Dirk Jancke (links) und Stefan Herlitze (rechts) arbeiteten gemeinsam an vielen der Studien, die dem Review zugrunde liegen. © RUB, Marquard
/RUB, jwe/ Im Gehirn wirken mehr als hundert molekulare Substanzen als Transmitter, die über Tausende von unterschiedlichen Rezeptortypen Kommunikationswege zwischen Nervenzellen steuern. In einem Übersichtsartikel diskutiert ein internationales Forschungsteam, welchen Einfluss die Aktivierung bestimmter Nervenzellrezeptoren auf neuronale Netzwerke im Gehirn hat. Die Autoren der RUB, der Universität Pompeu Fabra in Barcelona und der Universität Oxford stellen Konzepte vor, um rezeptorspezifische Modulationen von Gehirnzuständen quantifizieren zu können. Sie entwickelten auch ein Computermodell, das den Einfluss einzelner Rezeptortypen auf die Gehirnaktivität vorhersagen kann.
Darüber hinaus zeigen die Wissenschaftler, wie die im Computer gewonnenen Vorhersagen durch experimentelle Methoden überprüft und weiterentwickelt werden können. Sie hoffen, damit neue Wege zur Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen zu eröffnen. Über ihre Arbeiten und den aktuellen Stand der Forschung berichten sie in einem State-of-the-Art Review im FEBS Journal, herausgegeben von der Vereinigung europäischer biochemischer Gesellschaften, veröffentlicht im April 2021.
Simulation der Dynamik von Gehirnzuständen im Computermodell
Über den molekularen Aufbau von neuronalen Rezeptoren ist bereits viel bekannt. Doch Forscherinnen und Forscher wissen wenig darüber, wie einzelne Rezeptortypen ganzheitlich Dynamiken in den Netzwerken des Gehirns verändern. Um das im Computermodell zu simulieren, führte das Forschungsteam Daten aus drei verschiedenen bildgebenden Verfahren zusammen: Informationen zu den anatomischen Vernetzungen im Gehirn, aufgenommen mit diffusionsgewichteter Magnetresonanztomografie; Informationen über die Ruheaktivität von Probandinnen und Probanden aus Messungen mit funktionaler Magnetresonanztomografie, kurz fMRT; und die Verteilungen von Rezeptortypen, aufgezeichnet mittels Positronen-Emissions-Tomografie. Anhand dieses Inputs konnten die Forscher ein für jeden Probanden individuelles Rezeptom erstellen, welches die Gesamtverteilung von Rezeptortypen im Gehirn erfasst.
Damit konnten die Forscher Wechselwirkungen zwischen Nervenzellen und die Aktivierungen einzelner Rezeptortypen im Computermodell simulieren. So aktivierten sie beispielsweise virtuell den Serotonin-Rezeptor 5-HT2A und beobachteten die Veränderungen im Modellgehirn. „Sie waren erstaunlich ähnlich zu denen, die andere Gruppen im Scanner beobachtet hatten, nachdem die Probandinnen und Probanden Psilocybin oder LSD verabreicht bekommen hatten – beides psychodelisch wirkende Substanzen, die spezifisch an den 5-HT2A-Rezeptor binden“, erklärt Privatdozent Dr. Dirk Jancke vom Bochumer Optical Imaging Lab, Erstautor des Review-Artikels. Das Computermodell war also in der Lage, Änderungen in der Gesamtdynamik des Gehirns nach Aktivierung eines einzelnen Rezeptortyps vorherzusagen.
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