EBRAINS stellt optimierte Simulationssoftware für Hirnforscher bereit
Gehirnmodellierung mit NEST 3 läuft auf Laptops wie auf Supercomputern der neuesten Generation

NEST (Neural Simulation Tool) ist eine skalierbare Software zur Untersuchung der Dynamik sehr großer neuronaler Netzwerke. Es ist eine der wichtigsten Simulationssoftwares, die im Human Brain Project eingesetzt werden.© Forschungszentrum Jülich/ SBC Lehmann
/HBP/ BRAINS, die neue digitale Forschungsinfrastruktur, die im Rahmen des von der EU finanzierten Human Brain Project eingerichtet wurde, hat mit NEST 3 eine verbesserte Gehirnsimulationssoftware zur Verfügung gestellt. Diese Software findet in Bereichen wie den Neurowissenschaften und der Robotik breite praktische Anwendung. NEST 3 ermöglicht eine bessere Darstellung ganzer Neuronenpopulationen und bietet eine optimierte Simulationsleistung.
NEST 3 ist anpassungsfähig und benutzerfreundlich und kann sowohl von Studenten mit Laptops als auch von etablierten Wissenschaftler:innen mit Zugang zu Supercomputern genutzt werden. Entwicklungsarbeit im Human Brain Project hat NEST 3 auch für die neue Ära der ultraschnellen Exascale-Supercomputer vorbereitet.
NEST 3 wird seit 1995 von einer wachsenden Entwicklergemeinschaft kontinuierlich entwickelt und verdeutlicht das langfristige Engagement für eine strenge Qualitätskontrolle bei der Entwicklung wissenschaftlicher Software.
“NEST ist das führende Werkzeug für die Simulation neuronaler Netze mit Schwerpunkt auf der Dynamik in den Netzen und ist eine Referenzsoftware in diesem Bereich. Die Kombination aus dem NEST 3-Simulator, der Modellierungssprache NESTML und der Benutzeroberfläche NEST Desktop bietet eine leistungsstarke Kombination von Werkzeugen für Spitzenleistungen in Forschung und Lehre in den Neurowissenschaften.” – Hans Ekkehard Plesser, Präsident der NEST Initiative und Leiter des EBRAINS High-Level Support Teams
Was ist neu?
NEST 3 steigert die Produktivität von Hirnforscher:innen, indem es die Konstruktion komplexer Netzwerkmodelle im Computer wesentlich erleichtert. Mit NEST 3 kann mit einer einzigen Zeile Code erreicht werden, wofür in früheren Versionen Dutzende nötig waren. Dies ermöglicht es den Forschern, eine breite Palette von Modellvarianten zu untersuchen und erleichtert die Validierung von Modellen, was zu zuverlässiger und reproduzierbarer Forschung beiträgt. Leistungsverbesserungen ermöglichen immer größere Simulationen, einschließlich der effizienten Speicherung stetig wachsender Mengen an Simulationsdaten.
NEST Desktop
Mit NEST Desktop, der leistungsstarken grafischen Oberfläche für Hirnsimulationen mit NEST, werden künftige Hirnforscher:innen die Eigenschaften von Hirnmodellen leichter untersuchen und erfassen. Ursprünglich als Lehrmittel an der Universität Freiburg konzipiert und erprobt, wurde NEST Desktop im Rahmen eines Partnerprojekts des Human Brain Project zur Produktionsreife gebracht und ist nun als Online-Tool auf EBRAINS verfügbar.
NESTML
Die Modellierungssprache NESTML ermöglicht es Wissenschaftler:innen, NEST stetig mit neuen Modellen von Nervenzellen und Nervenverbindungen zu erweitern. So können sie von der bewährten Zuverlässigkeit des NEST-Simulators profitieren und gleichzeitig neue Ideen und Konzepte erforschen. Dies verbessert nicht nur die Qualität der Forschung, sondern erleichtert auch den Austausch neuer Gehirnmodelle mit anderen Wissenschaftler:innen.
NEST Server
NEST Server wurde zusammen mit NEST 3 veröffentlicht und bietet eine flexible, aber sichere Schnittstelle zum Kern des NEST Simulators. Diese Schnittstelle erlaubt es NEST, Simulationsdienste für NEST Desktop und die EBRAINS Neurorobotics Platform bereitzustellen, sowie groß angelegte Simulationen mit NEST auf den HPC-Systemen des EBRAINS Collaboratory zu ermöglichen.
Warum NEST?
NEST ist ein Kommandozeilenwerkzeug zur Simulation neuronaler Netze. Es ermöglicht Benutzer:innen, Netzwerke von Modellneuronen in einem Computer aufzubauen und zu simulieren. Durch die Veränderung der Neuronen und deren Verbindungen, können Wissenschaftler:innen erforschen, wie die Eigenschaften der Netzelemente dessen Aktivität beeinflussen.
Da sich NEST auf die Dynamik, Größe und Struktur neuronaler Systeme konzentriert und nicht auf die genaue Morphologie einzelner Neuronen, können extrem große Systeme modelliert werden. Dabei bleibt die zelluläre Auflösung erhalten. Das Programm ist ideal für Netzwerke jeder Größe und kann frei heruntergeladen werden. Weitere Informationen.
Einsatzbeispiele aus der Praxis
NEST wurde zur Entwicklung einiger der größten anatomisch fundierten Gehirnmodelle in der heutigen Neurowissenschaft verwendet, darunter:
Millimetermodell
Im Jahr 2014 veröffentlichten der Doktorand Tobias Potjans und sein Betreuer Markus Diesmann das Modell eines minimalen Bausteins des Kortex. Das „Millimetermodell“ beruhte auf einer sorgfältigen Analyse anatomischer Daten. Da sie ihr Modell als NEST-Implementierung zur Verfügung stellten, konnten Forscher:innen direkt auf der Arbeit von Potjans und Diesmann aufbauen, was zu zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen führte. Dieses Millimetermodell, das etwa 1 mm2 der Hirnrinde abdeckt und etwa 77 000 Neuronen umfasst, ist frei verfügbar und über EBRAINS zugänglich.
Mehrregionenmodell
Die Fähigkeit von NEST, große Teile eines Gehirns zu simulieren, wird durch ein Modell des gesamten visuellen Kortex des Makakenaffen aus dem Jahr 2018 demonstriert. Das “Mehrregionenmodell” von Maximilian Schmidt, Sacha van Albada und Kolleg:innen umfasst 32 Hirnareale mit insgesamt über 4 Millionen Neuronen. Sowohl das Modell als auch die komplexen Arbeitsabläufe, die zur Analyse seiner Dynamik erforderlich sind, wurden sorgfältig überprüft und dokumentiert und sind als Referenzen und Ausgangspunkt für künftige Forschungen frei verfügbar.
Die Arbeiten im Rahmen des Human Brain Project haben den Nutzerkreis von NEST erweitert:
Simulation auf mehreren Skalen des Gehirns
Auf EBRAINS können Forscher:innen NEST mit “The Virtual Brain” verbinden. Dabei handelt es sich um eine makroskopische Simulationssoftware auf der Ebene des gesamten Gehirns, die bereits in der medizinischen Forschung zur Modellierung von Hirnerkrankungen eingesetzt wird. Die daraus resultierenden skalenübergreifenden Simulationen bieten die Möglichkeit zu untersuchen, wie Phänomene auf der Mikro- und Makroebene des Gehirns miteinander verbunden sind.
Neurorobotik
In NEST implementierte Gehirnmodelle sind gut geeignet, um die Neurowissenschaften mit der Technologieforschung zu verknüpfen. Wissenschaftler:innen können die Neurorobotikplattform der EBRAINS-Forschungsinfrastruktur nutzen, um NEST mit virtuellen Robotern zu verbinden und zu testen, wie Gehirnmodelle auf sensorische Eingaben reagieren.
Community
Fast 50 Entwickler:innen aus vier Kontinenten haben an der Veröffentlichung von NEST 3 mitgewirkt. 2016 begann die Entwicklung unter Federführung von Arbeitsgruppen an der Norwegischen Universität für Umwelt- und Biowissenschaften (NMBU) und am Forschungszentrum Jülich. Die Entwicklung von NEST 3 ist repräsentativ für die breite wissenschaftliche Zusammenarbeit, die EBRAINS fördert.
EBRAINS
EBRAINS ist eine neue digitale Forschungsinfrastruktur, die im Rahmen des von der EU geförderten Human Brain Project geschaffen wurde und eine breite Palette von Daten und Werkzeugen für die Hirnforschung breitstellt.
EBRAINS soll dazu beitragen, die neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen der Neurowissenschaft in Innovationen in Medizin und Industrie zum Nutzen von Patienten und Gesellschaft umzusetzen. Neben Simulationswerkzeugen wie NEST bietet EBRAINS eine umfangreiche Sammlung von Datensätzen aus der Hirnforschung, einen einzigartig detaillierten 3D-Gehirnatlas, Modellierungswerkzeuge und einfachen Zugang zu Hochleistungsrechner-Ressourcen sowie zu Robotikplattformen und neuromorphen Computersystemen.
EBRAINS wurde als eine der besten europäischen Forschungsinfrastrukturen anerkannt und in die ESFRI-Roadmap 2021 aufgenommen. Weitere Informationen.