Wie das Gehirn visuelle Karten erstellt
Unser Gehirn verfügt über eine Vielzahl von neuronalen Karten mit deren Hilfe wir unsere Bewegungen planen, in unserer Umwelt navigieren und die Welt mittels unserer Sinne wahrnehmen. Die Karten, die unser Gehirn von der visuellen Welt erstellt, wurden intensiv und detailliert erforscht und bieten uns eine Möglichkeit zu verstehen, wie sich auch andere neuronale Karten im Gehirn bilden, organisieren und funktionieren.
Beteiligtes Bernstein Mitglied: Jens Kremkow
Karten haben für den wissenschaftlichen Fortschritt eine bedeutende Rolle gespielt. Claudius Ptolemäus hat unser Verständnis der Welt durch seine Karte der Erde grundlegend gewandelt, sowie Tycho Brahe unser Verständnis des Universums mit seiner Karte der Sterne. Die Kartierung des menschlichen Körpers durch Claudius Galenos, Leonardo da Vinci und Andreas Vesalius hat den Weg für die moderne Medizin geebnet und die jüngsten Fortschritte bei der Kartierung des menschlichen Gehirns helfen uns, besser zu verstehen wer wir sind. Unser Gehirn verfügt über eine Vielzahl von neuronalen Karten mit deren Hilfe wir unsere Bewegungen planen, in unserer Umwelt navigieren und die Welt mittels unserer Sinne wahrnehmen. Die Karten, die unser Gehirn von der visuellen Welt erstellt, wurden intensiv und detailliert erforscht und bieten uns eine Möglichkeit zu verstehen, wie sich auch andere neuronale Karten im Gehirn bilden, organisieren und funktionieren.
Die intensive Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Karten des primären visuellen Kortex eine komplexe, mehrdimensionale Repräsentation visueller Stimuli beinhaltet, die Standort, von welchem Auge der Input kommt, sowie Hell-Dunkel-Kontrast, Ausrichtung und Breite umfasst. Der Buchstabe „I“ auf dieser Seite wird in der Karte des visuellen Kortex abgespeichert mit den Informationen „Position (x,y), beide Augen, dunkel, vertikal, schmal“.
Unsere visuell wahrgenommene Welt als Karte auf einem kleinen Stück des Kortex abzubilden ist eine große Herausforderung. Erstaunlicherweise scheint dies bei unterschiedlichen Säugetier-Ordnungen wie Primaten, Raubtieren oder Spitzhörnchen ähnlich zu funktionieren. Bei allen wird die Orientierung des Stimulus in einem Windradmuster abgespeichert. Eine neue Studie, die in der Zeitschrift Nature Communications erscheinen wird, präsentieren die beteiligten Wissenschaftler:innen eine Theorie, welche die Diversität der visuellen Karten und den Ursprung des Windradmusters zur Kartierung der Orientierung erklärt. Laut dieser Theorie begründet sich die Diversität der neuronalen Karten in der Abtastrate, mit der der visuelle Raum durch die Sinneszellen erfasst wird. Diese Abtastrate hat sich im Laufe der Evolution erhöht. Damit erhält der Kortex mehr neuronalen Input, welcher sich wiederum auf einem größeren Bereich der Hirnrinde von größer werdenden Gehirnen abbildet. Diese größeren Bereiche ermöglichen eine Sortierung des neuronalen Inputs in Cluster von Gehirnzellen, die alle auf dieselben Stimuluseigenschaften reagieren: denselben visuellen Punkt, dasselbe Auge (links oder rechts) und denselben Hell-Dunkel-Kontrast. Somit kann die Diversität an Eigenschaften, die pro visuellen Punkt erfasst werden, gesteigert werden. Dieser Maximierungsprozess führt schließlich zu dem Windradmuster der Karte für die Orientierung der Stimuli.
Wir sind zwar noch weit entfernt davon eine akkurate Karte des menschlichen Gehirns erstellen zu können, jedoch ist eine Theorie zur Entstehung neuronaler Karten im Gehirn ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Theorie, die von den Author:innen dieser Studie präsentiert wird muss sich noch über die Zeit beweisen, sie kann jedoch bereits einige experimentelle Funde beschreiben. Desweiteren prognostiziert sie einen topographischen Zusammenhang aller Stimulusdimensionen die in einer visuellen Karte abgebildet sind. Das würde akkurate Rekonstruktionen von multi-dimensionalen Karten, die für zukünftige Hirnimplantate notwendig sind, sehr erleichtern.