Junge Führungspersönlichkeit mit interdisziplinärem Anspruch
2015 ging Marion Silies mit einem Emmy Noether Stipendium von Stanford nach Göttingen. Das Bernstein Center for Computational Neuroscience Göttingen war ein großer Pull Faktor für ihre Entscheidung. Heute ist sie Professorin für Neurobiologie an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz.
Marion Silies, © ENI, Göttingen
/BN, C. Duppé/ Marion Silies‘ wissenschaftlicher Lebenslauf beeindruckt. Gespickt mit Preisen, Stipendien und einer Postdoc Stelle an der Stanford University in den USA scheint sich ihre Karriere mit sehr viel Leichtigkeit zu entwickeln. Im Gespräch mit ihr merkt man schnell, dass bei der jungen Neurowissenschaftlerin Klarheit, Zielstrebigkeit und Verantwortung ihre Forscherpersönlichkeit prägen. Die Entscheidungen, die sie trifft, sind richtungsweisend – nicht allein für ihr persönliches wissenschaftliches Weiterkommen, sondern auch für das Wissenschaftsfeld, in dem sie sich bewegt und, nicht zuletzt, den Nachwuchs, den sie ausbildet. Ihre Wahl für den Aufbau der Nachwuchsgruppe zur Erforschung der zellulären und molekularen Grundlagen des Bewegungssehens, die ihr das Emmy Noether Stipendium ermöglichte, fiel auf Göttingen. Warum dort?
Göttingen war für die experimentell arbeitende Neuro-wissenschaftlerin vor allem wegen der Stärke der theoretischen Neurowissenschaften attraktiv, denn an der ‚Grenzfläche‘ von Experiment und Theorie fühlt sie sich wohl. Sie schätzt die Nähe zu Theoretikern, die den anderen Blick auf ihre Arbeit werfen. „Gerade das Komplementäre bereichert meine Forschung immens, “ erläutert sie. Göttingen bot ihr das interdisziplinäre Umfeld durch die Universität, das angeschlossene Uniklinikum, Max-Planck-Institute und nicht zuletzt das Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) Göttingen.
Alle Institutionen sind am Göttinger Graduate Center for Neurosciences, Biophysics, and Molecular Biosciences vertreten, eine jener Begegnungsstätten für junge Studierende, in denen Silies große Chancen für die moderne Wissenschaft sieht. Ihrer Erfahrung nach ist es gerade dieser Austausch auf Studierendenebene, durch den neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Ideen in ihre Gruppe getragen werden. In Göttingen konnte Marion Silies ihre Forschung intensivieren und neue wissenschaftliche Wege gehen. Das dortige interdisziplinäre Umfeld ist eine mögliche Ursache für ihr „hervorragendes Gespür für übergreifende Fragen der Neurobiologie“1. Dieses Gespür zeigt sich auch in wissenschaftlichen Initiativen, wie dem kürzlich von der DFG bewilligten Schwerpunktprogramm zum Thema „Evolutionäre Optimierung neuronaler Systeme“. Zusammen mit Fred Wolf, dem Leiter des BCCN Göttingen hat sie das interdisziplinäre Programm federführend initiiert. Es ist das weltweit erste koordinierte Forschungsprogramm, das systemische und theoretische Neurowissenschaft mit Evolutions- und Entwicklungsbiologie zusammenführt, um die Grundprinzipien der Hirnevolution aufzuklären.
Aus wissenschaftlicher Sicht beschäftigte sich Marion Silies schon früh mit den neuronalen Grundlagen des Sehens. Ihr favorisierter Modellorganismus, die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, ist zwar nicht per se außergewöhnlich, aber ihre Forschungsergebnisse zeugen von der interdisziplinären Ausrichtung der Forscherin. Einfach ausgedrückt fragt sie sich, wie Schaltkreise im Gehirn der Fliege aufgebaut sind und wie Neurone miteinander kommunizieren, um visuelle Informationen zu verarbeiten. Während ihrer Zeit in Stanford hat sie eine Art genetischen ‘Werkzeugkasten’ entwickelt, der inzwischen von zahlreichen Laboren weltweit genutzt wird, um die neuronale Funktion in spezifischen Zellen zu manipulieren und dadurch die neuronalen Netzwerke des Bewegungssehens zu identifizieren.2
Seit 2015 leitet sie die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe “Visual Processing” am European Neuroscience Institute ENI an der Universitätsmedizin Göttingen. Mit neuen methodischen Ansätzen ist es ihr hier gelungen entscheidende wissenschaftliche Beiträge in einem vielseitig besetzten Forschungsfeld zu leisten. Für ihre Arbeit wurde Silies mehrfach ausgezeichnet. 2016 erhielt sie den ERC Starting Grant für ihr Projekt „MicroCyFly“. 2017 wurde ihr der Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungs-gemeinschaft verliehen.
Auch Marion Silies selbst ist verblüfft wie nahtlos und leicht sich die Dinge fügen, denn schon ruft eine neue Herausforderung nach ihr. Sie wurde auf die Professur für Molekulare Neuroentwicklungsbiologie an der Universität Mainz berufen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge wird sie Göttingen deshalb Anfang 2019 verlassen. Der Abschied wird dadurch gemildert, dass in Mainz durch zahlreiche Berufungen junger Professor:innen eine Aufbruchsstimmung herrscht, die kooperativen Forscher:innen wie Silies viel Raum für (Mit)Gestaltung der wissenschaftlichen Zukunft einräumt. Hinzu kommt, dass ihre Gruppe fast komplett mit ihr von Göttingen nach Mainz umziehen wird, denn so kann “die Arbeit (fast) nahtlos weitergehen.“ Dies wird auch durch die Kolleg:innen des Bernstein Netzwerks in Frankfurt a. M. vereinfacht, mit denen sie an gemeinsamen Projekten arbeitet. Durch ihren Umzug nach Mainz erweitert Silies die Karte des Bernstein Netzwerks um einen weiteren Hotspot im Rhein-Main Gebiet.
Marion Silies begegnet der neuen Aufgabe mit viel Respekt – nicht nur im wissenschaftlichen Sinn. Es ist für sie der nächste Schritt auf der Karriereleiter aber auch ein weiterer Schritt, um als weibliche Führungskraft zum Vorbild zu reifen. Seit sie selbst eine Gruppe leitet, ist ihr bewusst, wie wichtig Vorbilder gerade für Frauen in der Wissenschaft sind. Sie möchte deshalb junge Frauen ermutigen, sich selbst nicht in Frage zu stellen, denn „gute Wissenschaft kann man natürlich auch als Frau machen!“ Silies wünscht sich, dass Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen zur Normalität werden, ein Wunsch, mit dem sie nicht alleine steht und dem sie ein Gesicht geben wird.
Erschienen im Bernstein Feature. 2018. Next Gen/d/eration Computational Neuroscience, S.20-23.
Referenzen
1 Deutsche Forschungsgemeinschaft. „Verleihung des Heinz-Maier-Leibnitz-Preises 2016. Laudatio auf die Preisträgerin Dr. Marion Silies.“ Bonn, Mai 2017. http://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/wissenschaftliche_preise/leibnitz-preis/2017/silies/index.html
2 Deutsche Forschungsgemeinschaft. “Marion Silies – Heinz Maier-Leibnitz-Preisträgerin 2017” http://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/wissenschaftliche_preise/leibnitz-preis/2017/silies/index.html