Wie sternförmige Zellen das flexible Lernen steigern
Sternförmige Gliazellen, sogenannte Astrozyten, sind mehr als eine Stützzelle des Gehirns. Sie wirken aktiv an Lernprozessen mit und interagieren dabei mit den Nervenzellen. Aber was genau machen die Astrozyten? Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn klären anhand eines biophysikalischen Modells wie Astrozyten im Wechselspiel mit den Nervenzellen die schnelle Anpassung an neue Informationen regulieren. Die Studienergebnisse sind jetzt im renommierten Fachjournal „Nature Communications Biology“ veröffentlicht.
(v.l.n.r.) Dr. Pietro Verzelli, Prof. Tatjana Tchumatchenko und Lorenzo Squadrani lösen das verborgene Rätsel um die Rolle von Astrozyten für Lernprozesse und Gedächtnis im Gehirn. Foto: UKB / Rolf Müller
Beteiligte Bernstein Mitglieder: Lorenzo Squadrani, Pietro Verzelli, Tatjana Tchumatchenko
Im Gehirn ist die synaptische Plastizität – die Fähigkeit, neuronale Verbindungen im Laufe der Zeit zu verändern – von grundlegender Bedeutung für Lernen und Gedächtnis. Traditionell hat sich die Wissenschaft auf Nervenzellen und ihre Synapsen konzentriert. Die Entdeckung der intrazellulären Ca2+-Signalübertragung in Astrozyten führte zu der Idee, dass Astrozyten mehr sind als ein das Gehirn zusammenzuhaltender Klebstoff und bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen. „Eine Funktionsstörung der Astrozyten kann unsere Lernfähigkeit erheblich beeinträchtigen, was ihre Bedeutung für kognitive Prozesse unterstreicht. Die genauen Funktionen der Astrozyten blieben jedoch lange Zeit ein Rätsel“, beschreibt Korrespondenz- und Co-Seniorautorin Prof. Tatjana Tchumatchenko, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung des UKB und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Modelling“ der Universität Bonn, die Motivation dieser Frage nachzugehen.
Komplizierter Tanz zellulärer Interaktionen beim Lernen enträtselt
“Unsere Arbeit als computergestützte Neurowissenschaftler besteht darin, die Sprache der Mathematik zu verwenden, um die experimentellen Beobachtungen zu interpretieren und kohärente Modelle des Gehirns zu erstellen”, sagt Co-Seniorautor Dr. Pietro Verzelli, ein Postdoktorand aus der Gruppe um Prof. Tchumatchenko. In diesem Fall entwickelten die Forscher ein biophysikalisches Modell des Lernens, das auf einer biochemischen Rückkopplungsschleife zwischen Astrozyten und Neuronen beruht, die kürzlich von Dr. Kirsten Bohmbach, Prof. Christian Henneberger und anderen Forschenden am DZNE und UKB entdeckt wurde.
Das biophysikalische Modell erklärt die Lerndefizite, die bei Mäusen mit gestörter astrozytärer Regulation beobachtet wurden, und unterstreicht die entscheidende Rolle, die Astrozyten bei der schnellen Anpassung an neue Informationen spielen. Indem sie den Spiegel des Neurotransmitters D-Serin regulieren, können Astrozyten die Fähigkeit des Gehirns erleichtern, seine synaptischen Verbindungen effizient anzupassen und neu zu verdrahten. “Unser mathematischer Rahmen erklärt nicht nur die experimentellen Beobachtungen, sondern liefert auch neue überprüfbare Vorhersagen über den Lernprozess”, sagt Erstautor Lorenzo Squadrani, ein Doktorand aus der Gruppe von Tchumatchenko.
Diese Forschungsarbeit schließt die Lücke zwischen theoretischen Modellen der Plastizität und experimentellen Erkenntnissen über die Interaktionen zwischen Nerven- und Gliazellen. Sie hebt die astrozytäre Regulation als physiologische Grundlage für dynamische synaptische Anpassungen hervor, ein zentrales Konzept der synaptischen Plastizität. „Unsere Ergebnisse tragen zu einem besseren Verständnis der molekularen und zellulären Mechanismen bei, die dem Lernen und dem Gedächtnis zugrunde liegen, und bieten neue Möglichkeiten für therapeutische Eingriffe, die auf Astrozyten abzielen, um kognitive Funktionen zu verbessern“, sagt Prof. Tchumatchenko.