FAU-Wissenschaftler:innen gewinnen tiefe Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns
In einer richtungsweisenden Studie haben die beiden Wissenschaftler Dr. Patrick Krauss und Dr. Achim Schilling von der Cognitive Computational Neuroscience Group an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nun mittels Künstlicher Intelligenz (KI) tiefe Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns gewonnen, die unser Verständnis von menschlichem Denken und Fühlen möglicherweise grundlegend verändern könnten.
Dr. Patrick Krauss (links) und Dr. Achim Schilling (rechts), © Patrick Krauss, Achim Schilling
Beteiligte Bernstein Mitglieder: Patrick Krauss
Wie geht ein Satz weiter? Was sehe ich als nächstes? Wie verändert sich die Umwelt, wenn ich dies und was passiert mit meinem Körper, wenn ich jenes tue? Das menschliche Gehirn ist ständig auf allen Komplexitäts- und Abstraktionsebenen damit beschäftigt, vorherzusagen, was als nächstes passiert. Diese so genannte prädiktive Kodierung gilt als eine der Hauptaufgaben des menschlichen Superorgans, um adaptives Verhalten zu ermöglichen und gut in der Umwelt zurechtzukommen. Dr. Patrick Krauss und Dr. Achim Schilling von der Cognitive Computational Neuroscience Group am FAU-Lehrstuhl für Informatik 5 (Mustererkennung) konnten in einer Studie diese in der Hirnforschung weit verbreitete Hypothese unterstreichen und darüber hinaus um neue Erkenntnisse ergänzen.
Zusammenarbeit mit dem Epilepsie-Zentrum des UK Erlangen
Die beiden Physiker und Neurowissenschaftler haben die Spontanaktivität des menschlichen Gehirns analysiert – mittels Auto-Encoder, einer fortschrittlichen Form künstlicher Intelligenz, die es ermöglicht, Muster und Verbindungen in den komplexen Datenmengen, die unser Gehirn erzeugt, zu erkennen, die mit traditionelleren Methoden unerreichbar waren. Möglich gemacht hat das eine Zusammenarbeit mit Forschenden vom Epilepsie-Zentrum des Uniklinikums Erlangen (Sprecher: Prof. Dr. med. Hajo Hamer). Dort bekommen Epilepsiepatient:innen einige Tage vor der operativen Entfernung des Epilepsieherds Elektroden ins Gehirn implantiert.
Mit den dabei gewonnenen, besonders raren und damit wertvollen Daten machten sie eine Entdeckung, die zu zukunftsweisenden Ergebnissen geführt hat: Bestimmte spontane Aktivitäten in unserem Gehirn, die sogenannten lokalen Feldpotenziale (LFPs), könnten entscheidende Hinweise darauf geben, wie unser Gehirn arbeitet. Diese spontanen Signale scheinen eine wichtige Rolle dabei zu spielen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, selbst wenn gerade keine äußeren Reize vorliegen.
Neue Wege für die Forschung
„In unserer Studie haben wir festgestellt, dass unser Gehirn ständig aktive Zustände durchläuft, die durch diese LFPs definiert werden. Es ist, als ob das Gehirn ständig verschiedene Möglichkeiten durchspielt, was als nächstes passieren könnte, auch wenn wir gerade nichts Bestimmtes tun oder wahrnehmen und keine äußeren Reize bekommen“, betont Dr. Patrick Krauss. „Außerdem haben wir entdeckt, dass die Form dieser LFPs uns zeigen kann, in welche Richtung die Signale im Gehirn fließen. Dies könnte wichtige Einblicke geben, wie Gedanken und Empfindungen in unserem Kopf weitergeleitet werden“, ergänzt Dr. Achim Schilling.
Erkenntnisse, die nicht nur neue Wege für die Forschung eröffnen, sondern auch zu besseren Diagnose- und Behandlungsmethoden für Gehirnerkrankungen führen könnten. Denn diese KI-Methoden lassen sich auch auf normale EEG- oder MEG-Messungen anwenden, wo Elektroden auf der Kopfoberfläche festgeklebt werden und die Aktivität des Gehirns auf diese Weise gemessen wird. „Das Wissen darüber, was das Gehirn normalerweise im Ruhezustand macht, lässt sich für diagnostische Zwecke nutzbar machen. Wenn wir immer besser verstehen, wie das Gehirn funktioniert und normalerweise arbeitet, führt das zu zielgenaueren Diagnose- und Behandlungsmethoden bei neurologischen Erkrankungen“, unterstreicht Dr. Achim Schilling. „Nimmt das Gehirn beispielsweise Zustände ein, die nicht äußeren Reizen entsprechen, kann das ein Hinweis auf eine krankhafte Veränderung sein.“
Fortschreitende Verschmelzung von Technologie und Hirnforschung
Während dafür die KI als Werkzeug genutzt wird, können die Studienergebnisse der beiden FAU-Wissenschaftler aber umgekehrt auch dabei helfen, diese selbst weiterzuentwickeln. Das langfristige Ziel: eine neurowissenschaftlich inspirierte KI, die ebenfalls in der Lage ist, kontinuierlich Vorhersagen zu treffen, auch wenn sie gerade keinen Input verarbeiten muss. „Gerade bei KI-Systemen, die in Fahrzeugen verbaut sind, kann das beispielsweise in puncto Sicherheit viel Sinn machen“, so Dr. Achim Schilling. Dr. Patrick Krauss weiter: „Auch wenn wenig Verkehr ist und das Auto nur geradeaus auf der Autobahn fährt, wäre es gut, wenn die KI im Hintergrund bereits durchspielt, welche Verkehrsereignisse eintreten könnten, auf die sie potenziell reagieren muss.“
Die Studie von Dr. Patrick Krauss und Dr. Achim Schilling zeigt damit, dass die synergetische Verbindung zwischen KI und Hirnforschung die Grenzen dessen, was über kognitive Prozesse und Gehirnfunktionen bekannt ist, erweitern und letztendlich zu innovativen neuen Ansätzen in der medizinischen Diagnose und Therapie führen kann. Die fortschreitende Verschmelzung von Technologie und Hirnforschung verdeutlicht zudem, wie entscheidend interdisziplinäre Ansätze für die Entschlüsselung der komplexesten Systeme der Natur sind. Mit ihren Entdeckungen nähern sich die FAU-Wissenschaftler schlussendlich nichts Geringerem als einem besseren Verständnis des vielleicht komplexesten aller Systeme – dem menschlichen Gehirn.