Die Sprache des Gehirns: Wie Erinnerungen uns zu Belohnungen leiten
Jetzt im Frühling haben einige von uns besonders Lust auf Eis. Stellen Sie sich vor: Sie wollen nach dem Winter das erste Mal wieder zu ihrer Lieblingseisdiele spazieren. Wahrscheinlich können Sie sich erinnern, wie Sie dort hinkommen. Wie leitet unser Gehirn uns zu solchen Orten der Belohnung? In einer Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, haben Forschende des Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg modernste Methoden verwendet, um diese Frage zu beantworten. Damit fanden sie heraus: Unser Gehirn nutzt einen speziellen Code, um uns zu Orten zu leiten, die Belohnung versprechen.
Oliver Barnstedt, Erstautor der in Nature Communications erschienenen Studie. Foto: Robin Ritter
Beteiligte Bernstein-Mitglieder: Oliver Barnstedt
Dialog der Hirnregionen
In der kürzlich erschienen Studie fokussierten sich die Forschenden auf die Verbindung zwischen dem Hippocampus und dem Nucleus accumbens, einem für Motivation und Belohnung zuständigen Gehirnareal. Die Hypothese lautet, dass die Kommunikation zwischen beiden Arealen hilft, Orte wiederzufinden, an denen wir zuvor belohnt wurden. Obwohl bekannt war, dass diese Regionen zusammenarbeiten, war es bisher unmöglich, die Aktivität zahlreicher Neurone und deren Kommunikationspartner direkt zu beobachten. “Was wir entdeckt haben, ist nicht weniger als die ‘Sprache’, die unsere Gehirnareale verwenden, um uns zu den Orten zu führen, die wir lieben,” erläutert Oliver Barnstedt, Erstautor der Studie.
Oliver Barnstedt, Petra Mocellin und Stefan Remy erforschen am LIN den Hippocampus – einen Bereich des Gehirns, der entscheidend beim Erinnern von Lebensereignissen und der räumlichen Orientierung ist und damit eine tragende Rolle in unserem Gedächtnis spielt. Schädigungen des Hippocampus führen unter anderem zum Verlust der Fähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden. Daher ordnet Stefan Remy, Leiter der Forschungsgruppe Zelluläre Neurowissenschaften, ein: “Die Fähigkeit, hochdimensionale neuronale Codes zu entschlüsseln, könnte zu präziseren Therapien führen, die direkt auf die Wiederherstellung von Gedächtnisfunktionen abzielen.“
Innovative Methodik
Das wissenschaftliche Team um Oliver Barnstedt nutzte eine Reihe neuartiger optischer und analytischer Methoden, um zu verstehen, wie die beiden Hirnregionen miteinander kommunizieren. Mithilfe spezieller Fluoreszenzproteine und Zwei-Photonen-Mikroskopie konnten die Wissenschaftler:innen neuronale Aktivität und die Verbindungen zum Belohnungszentrum im Gehirn nachverfolgen. Bei über 5.000 Neuronen wurde beobachtet, wie und wann sie aktiv wurden – eine bahnbrechende Methode, um zu verstehen, wie Mäuse auf einem an eine natürliche Umgebung erinnernden Laufband trainiert, Belohnungsorte identifizieren und darauf reagieren.
Multidimensionale Hirncodes
Die Forschungsergebnisse des Teams deuten darauf hin, dass nahezu die Hälfte der Neurone, die vom Hippocampus zum Nucleus accumbens führen, gleichzeitig Informationen zu Ort und Bewegung kodieren – ein Meilenstein für das Verständnis, wie im Gehirn räumliche und belohnungsbezogene Informationen integriert werden. Diese multidimensionale Vernetzung ermöglicht es dem Gehirn, mit hoher Präzision die Orte zu antizipieren, die uns Freude bereiten. Es ist, als würden unsere Gehirnzellen bereits im Voraus das ‘Glücksgefühl’ einer belohnenden Erfahrung wie den Besuch unserer Lieblingseisdiele kartieren.
Bedeutung für Medizin und Therapie
“Diese Studie markiert einen Wendepunkt in unserem Verständnis von räumlichem Gedächtnis und Belohnung – und öffnet neue Wege für die Behandlung von Erkrankungen wie Alzheimer und Sucht,” sagt Oliver Barnstedt. Der Einblick in die hochdimensionale neuronale Kodierung bietet neue Ansätze für die Behandlung der räumlichen Desorientierung bei Alzheimer-Patienten und für therapeutische Strategien bei Suchtverhalten. Ein tieferes Verständnis der nun sichtbar gemachten neuronalen Prozesse könnte der Schlüssel zu wirksameren Therapien sein.