Forschende des BIH entwickeln Theorie über wandernde Aktivitätswellen im Gehirn
Forschende des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) haben mithilfe von Gehirnsimulationen eine Theorie zur Entstehung von wandernden Aktivitätswellen entwickelt. Diese Wellen beeinflussen kognitive Prozesse wie Lernen oder Erinnern im menschlichen Gehirn. Ein Verständnis von wandernden Aktivitätswellen kann Patient*innen mit kognitiven Erkrankungen in der Therapie helfen.
Copyright: Brain Simulation Section, BIH, Charité - Universitätsmedizin Berlin
Beteiligte Bernstein-Mitglieder: Petra Ritter
Erstmals gelang es dem Team um Professorin Dr. Petra Ritter mithilfe von Computersimulationen zu zeigen, wie wandernde Aktivitätswellen im Gehirn entstehen und sich bewegen. Frühere Studien weisen darauf hin, dass diese Wellen für verschiedene kognitive Funktionen wie etwa die Erinnerung wichtig sind. Dr. Petra Ritter leitet als Johanna Quandt Professorin für Gehirnsimulation am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) die dortige Arbeitsgruppe für Gehirnsimulation und ist Leiterin der Sektion Gehirnsimulation an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die von Dr. Ritter geleitete Studie, die in “Nature Communications” veröffentlicht wurde, ist Teil der Dissertationsarbeit von Dominik Koller, dem Erstautor der Publikation.
Wandernde Aktivitätswellen sind eine Form der Hirnwellen
Wandernde Aktivitätswellen sind ein Muster neuronaler Signale, die entstehen, wenn Gruppen von Neuronen gleichzeitig aktiv sind und diese synchrone Aktivität mit der Zeit räumlich über den Kortex wandert. Forschende können die Wellen mithilfe von Messungen, wie zum Beispiel der Elektroenzephalographie (kurz EEG), sichtbar machen. Die Ursache der Welle ist ein räumlich ausgedehnter Frequenzgradient im Gehirn, der wiederum durch einen Gradienten in der Stärke der Vernetzung entsteht.
Wandernde Aktivitätswellen bewegen sich über den Kortex
Professorin Dr. Petra Ritter ist überzeugt, dass Hirnwellen ein Schlüssel zu Lernprozessen im Gehirn sein können, denn synchrone Aktivität stärkt die Verbindung. „Durch die über das Gehirn ziehenden Wellenfronten wird die Synchronisation der Aktivität von Nervenzellen – auch wenn sie räumlich voneinander entfernt sind – erzielt. Eine bekannte Theorie besagt: was zusammen „feuert“ – also gleichzeitig aktiv ist, verdrahtet sich miteinander. Das bedeutet, dass diese Wellen eine wichtige Grundlage für die Koordination von plastischen Veränderungen, dem Lernen des Gehirns, darstellen können“, erklärt die Leiterin der Studie. Dabei können sich die Wellen im Gehirn auf verschiedensten räumlichen Skalen fortbewegen und auch die Richtung und andere Eigenschaften ändern: „Wir wissen, dass es verschiedene Faktoren gibt, die die Ausbreitung der Wellen beeinflussen, aber die genauen Zusammenhänge sind sehr komplex. Mit unseren mathematischen Modellen des Gehirns ist es trotz der Komplexität möglich, die zugrundeliegenden Regeln aufzuschlüsseln.“
Wandernde Aktivitätswellen sind wichtig in der Therapie
Das Wissen um die Entstehungsmechanismen der wandernden Aktivitätswellen kann zukünftig die Therapie von Erkrankungen des Gehirns verbessern und beim Verständnis über diese Erkrankungen helfen. „Beispielsweise in der Therapie von Schizophrenie, Epilepsie oder Parkinson“, ergänzt Petra Ritter. Mit den Digitalen Gehirnzwillingen, die in Petra Ritters Team entwickelt werden, lässt sich die Reaktion eines Gehirns auf einen bestimmten Reiz simulieren. Ritter sieht in der Simulation Potential, Therapien wie die Gehirnstimulation, z.B. in Form von tiefer Hirnstimulation bei der Parkinson-Erkrankung, aber euch neurochirurgische Eingriffe personalisiert am Computer zu planen und so sicherer und effizienter zu machen: „Was bisherige Modelle nicht berücksichtigt haben, sind plastische Veränderungen. Das Verständnis der Entstehung von Aktivitäts-Wellenfronten kann nun auch für die Simulation von Lerneffekten im Sinne einer Veränderung im Gehirn genutzt werden.“ In einem nächsten Schritt planen die Forschenden mit dem Modell zu simulieren, welche Effekte Stimulationen des Gehirns von außen langfristig haben, etwa bei Transkranieller Magnetstimulation (TMS) oder tiefer Hirnstimulation mit eingesetzten Elektroden. So könne die Hirnforschung dazu beitragen, dass in Zukunft Ärzt*innen mit Computersimulationen planen, welche Stimulation für eine erkrankte Person den besten Effekt hat.