Die Bedeutung von Software in der Wissenschaft
Eine Gruppe aus 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von denen die Mehrzahl am Käte Hamburger Kolleg: Cultures of Research (c:o/re) an der RWTH Aachen tätig sind oder waren, hat einen Artikel über die fehlende Beachtung von Software in der „Nature Computational Science“ veröffentlicht.

Beteiligte Bernstein Mitglieder: Markus Diesmann
Software ist in der Wissenschaft allgegenwärtig, und doch wird sie überall übersehen. In einer Zeit, in der die wissenschaftliche Welt (und darüber hinaus) über Code, Algorithmen oder künstliche Intelligenz spricht, erscheint Software im Diskurs nur als eine weitere semantische Feinheit. Dabei sind viele Facetten von Software, beispielsweise Fragen nach Benutzerlizenzen oder Dateiformaten, nicht Teil der Definition von Code oder Algorithmus.
14 Wissenschaftler:innen, von denen die Mehrzahl am Käte Hamburger Kolleg: Cultures of Research (c:o/re) an der RWTH Aachen tätig sind oder waren, haben einen Artikel über die fehlende Beachtung von Software in der „Nature Computational Science“ veröffentlicht. c:o/re ist ein interdisziplinäres Kolleg, das jährlich zehn internationale Fellows aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, den Natur- und Technikwissenschaften sowie der Kunst und Kunstgeschichte nach Aachen beruft. Das Kolleg versteht sich als ein internationales Center for Advanced Studies für Geschichte, Philosophie und Soziologie der Wissenschaft und Technik. Geleitet wird es von Philosophieprofessorin Gabriele Gramelsberger (Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie) und Soziologieprofessor Stefan Böschen (Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft). Thema ist die Transformationen von Wissenschaft und Technik zu analysieren und Fragen, wie nach der Reproduzierbarkeit von Forschung oder dem offenen Zugang zu Software, zu diskutieren.
Die Autor:innen rufen in ihrem Beitrag dazu auf, Perspektiven auf Software aus verschiedenen anwendungswissenschaftlichen (zum Beispiel computergestützte Wissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften) und informatischen (Entwicklung, Benutzung, Betreuung usw.) Hintergründen zusammenbringen, um die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Bedeutungen von Software aufzudecken. Fallstudien in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen, auch zu älteren Softwareentwicklungen, sollen dazu beitragen, das Verständnis von Software verbessern.
Ein einfaches Beispiel: Excel Autokorrektur
Ein Beispiel aus der Bioinformatik: In den „ergänzenden Materialien“ von Bioinformatik-Publikationen ist das bevorzugte Format für lange Genlisten überraschenderweise das Microsoft .xls-Format. Doch Excel wandelt die Bezeichnung MARCH1 für das Gen „Membrane Associated Ring-CH-type finger 1“ automatisch in ein Datum um. Dies verfälscht die aufgelisteten Daten. Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2021 erinnert daran, dass das Problem bereits 2004 erkannt (und veröffentlicht) wurde, aber nie verschwunden ist. Ein Fünftel der Veröffentlichungen, die sich mit Genlisten befassen, enthalten diese Fehler.
Forscher:innen könnten tabellarisierten Klartext (.csv-Dateien) verwenden, aber tun es nicht, da sie an Tabellenkalkulationen gewöhnt sind. Dabei sind diese gar nicht für diese Art der Verarbeitung großer Datensätze konzipiert. Ein weiterer Grund ist die Gewöhnung an weitverbreitete Software von Microsoft, die viele wissenschaftliche Praktiken prägt. Es hat 20 Jahre gedauert, bis die Forscherinnen und Forscher die fraglichen Gene endlich umbenannt haben. Erst vor kurzem hat Microsoft Excel, ein dreißig Jahre altes Softwarepaket, diesem die Fähigkeit verliehen, die Umwandlung einer Zeichenfolge in ein Datum zu deautomatisieren.
Forschung zu Praktiken und Transformationen in Wissenschaft und Technik
Die Autor:innen des Artikels blicken aus den Disziplinen computergestützte Wissenschaften, Geschichte, Wissenschaftsphilosophie, Semiotik, Science and Technology Studies (STS) und Medienwissenschaften auf das Thema Software in der wissenschaftlichen Forschung. Sie sind an verschiedenen Universitäten weltweit tätig. Die Mehrzahl von ihnen war im Rahmen eines Fellowships am Käte Hamburger Kolleg: Cultures of Research (c:o/re) tätig, wo die Idee der gemeinsamen Publikation aus dem Workshop „Engineering Practices: New Horizons in the Social Study of Science and Software“ entstand.